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Laudatio von Dr. Hans M. Schmidt

„Hauptweg und Nebenwege“

Ein Gemälde von Paul Klee im Kölner Ludwig-Museum, entstanden nach des Künstlers Ägypten-Reise, 1929, trägt den im Bild nachvollziehbaren Titel „Hauptweg und Nebenwege“.

Diesen Titel darf man getrost und generell, wie vielleicht auch Klee es tat, als Devise für die dichte Folge der künstlerischen Arbeiten in Anspruch nehmen – selbst bei einem so jungen Oeuvre wie dem des Malers Jan Holthoff. Geht es auf solchen Wegen doch stets um Welterkundung, d.h. vor allem um Kunst- und Selbsterkundung, was in der prinzipiellen Haltung kaum einen Unterschied macht. Holthoffs bemerkenswerte Arbeit, die vorwiegend in Ateliers in Düsseldorf und New York entsteht, soll heute durch den Douglas Swan-Förderpreis ausgezeichnet werden.

Dass es zwischen dem Werk von Douglas Swan, der im Jahr 2000 hier in Bonn nach einer Reihe fruchtbarer Jahre verstarb, und dem Schaffen von Jan Holthoff mancherlei Bezüge zu entdecken gibt, wenngleich mehr analog als direkt, das wird sich in den weiteren Ausführungen zeigen. Doch bereits die Reproduktion der beiden in der Einladung gegenübergestellten Arbeiten, Swans eindrucksvolle Hommage an das bekannte Scherzo des französischen Komponisten Paul Dukas, den „Zauberlehrling“, und das Bild 24 aus der Serie „Frozen Gestures“ von Holthoff lassen in der souveränen Gelöstheit der Malerei und in der Frische des Duktus Analogien aufscheinen. Und es ist zweifellos ein besonderes Glück des Künstlers wie auch für uns, die wir dabei sein dürfen, dass diese Veranstaltung hier im Bonner Macke-Haus, im ehemaligen Atelier von August Macke, stattfinden kann.

Das erste Gemälde von Jan Holthoff, das ich bewusst sah, war auf  der sogenannten Großen Düsseldorfer im Frühjahr 2012 aus seiner Reihe „Broken Vistas“, ein großes querformatiges Bild (130 x 195 cm; Pigment, Acryl auf Leinwand) aus dem Jahr 2011.

Auf den ersten Blick sieht man in einer zwielichtigen, dämmerigen Park- oder Waldlandschaft mit einem Gewässer im Vordergrund einen strengen, modernen Stahl-Glas-Bau, links in einer Scheibe die Spiegelung eines entfernten kleinen Giebelhauses als kontrastierendes Moment.

Doch weiße, grau-weiße Schlieren, teilweise grobe Pinselspuren eines expressiven Duktus, teilweise mit dripping-Effekten, stören die Ansicht und wirken irritierend. Ist das Bild nicht fertig oder sollte es übermalt werden? Es ist ein Bild auf der Kippe zwischen Werden und Vergehen – oder, wenn man so will, zwischen gegenständlich und expressiv unfigürlich. Die eigentümliche Balance, auch in der Licht-Situation, in der flächigen und illusionistsch-räumlichen Wirkung verunsichert. Es ist eine Malerei wie in einem Drahtseilakt. Man hält den Atem an, und sie stürzt nicht ab.

In dieser Spannung zwischen einem aus Erinnerung gespeisten Sehen und einem aktiv in Unbekanntes vordringenden Schauen bleibt der Betrachter in Bewegung, allerdings ziemlich unruhig und unbequem. Das ist also keine Kunst für ein entspanntes Schaukelstuhl-Erlebnis, wovon Matisse sprechen konnte.

Vor allem aber wurde mir klar, was  weitere Arbeiten dieses Künstlers, die ich kennen lernen durfte, dann bestätigten: Da ist jemand, der vertraut auf die noch lange nicht ausgeschöpften Möglichkeiten der Malerei, auf eine tragfähige Entfaltung ihrer noch immer unverbrauchten Kultur. Von Bild zu Bild geht es Jan Holthoff auch um das Moment der Überraschung und das zum vertiefenden Sehen gereichende Staunen.

Natürlich ist ihm vertraut, was Willi Baumeister, der nicht nur bedeutende Gemälde, sondern auch ein immer noch lesenwertes Buch über „Das Unbekannte in der Kunst“ hinterlassen hat, einmal so formulierte: „Das Kunstwerk kann wenig zeigen, aber alles enthalten.“

Und es muss uns nicht suspekt sein, wenn wir angesichts seiner Arbeiten auch von Schönheit sprechen, gewiss nicht von der verdächtigen, die auf Konvention beruht. „Dieser Akkord von Material und Idee ist im eigentlichen Sinn das, was das Schöne konstituiert.“ Es fällt nicht schwer bei seinen Arbeiten diesen Gedanken des französischen Philosophen Alain (p. 153) bestätigt zu sehen. Ihm verdanken wir, was ebenfalls hier angebracht erscheint, auch das Diktum „Kunst ist eine Form des Tuns, nicht des Denkens.“ (p. 152)

Die Malerei von Holthoff nimmt einen wesentlichen Teil aus dem Prozess ihrer Entstehung  als maßgebliche Ausdrucksform in Anspruch, was grundlegend auch für Swan gilt. Da ist die unterschiedliche Materialität der Farbe, ob lasurartig, körnig trocken oder als anscheinend dunstiger, feuchter Schleier., wenn man so will: der ganze Eigensinn der Farben. Dann gibt es Bildtitel wie „Delirious Black“.
Wer genau hinschaut, wird bei aller Dramatik den souveränen Umgang mit der Fülle und der Leere, die Balance in den Klängen und Rhythmen sowie das Spiel mit dem Faktor Zeit nicht verkennen. Und die Gemälde von Holthoff sind ebenso wenig wie die von Swan auf den ersten Blick zu „durchschauen“, vielmehr braucht es Zeit, sich auf sie einzulassen.

Im bisherigen Werk von Jan Holthoff, ob in der Reihe der „Broken Vistas“, der „Chemical Landscape“ oder auch bei seinem „Wetterhorn project“ im Düsseldorfer Malkasten im vergangenen Mai spielt die Landschaft, mit Vorliebe die urzeitliche Gebirgslandschaft, eine wichtige thematische Rolle Natürlich gibt es noch eine Reihe anderer thematischer Felder in seiner Malerei. Aber weder die Landschaft mit allen möglichen Fenstern ins Romantische noch andere figürliche Aspekte sind das eigentliche Thema, sondern allein die Malerei, nämlich eine Malerei reich an Erfahrungen – auch der Abstraktion sowie mit allen denkbaren Optionen reflektiver Wahrnehmung. Daher gibt es bei diesem Künstler – ähnlich wie bei vielen seiner Generation – keinen Unterschied zwischen figürlich und unfigürlich. In dieser Hinsicht befand sich Douglas Swan mit seiner Liebe zu  den Dingen (und zur Musik) doch  auf einem anderen Ufer.

Die Reihe der „Frozen Gestures“ von Holthoff, die Kandinsky vielleicht „Improvisation“ und Chopin „Impromptu“ genannt hätte, haben vordergründig viel mit der unfigürlichen zeichnerischen bzw. malerischen Gestik der Informellen Kunst der Nachkriegszeit zu tun. Ist eine solche Annäherung an die „Sprache“ der Großvätergeneration nicht überraschend? Oder liegt in einem solchen Blick zurück nicht auch ein Moment der Freiheit? Und damit steht Holthoff offensichtlich nicht ganz allein da. So heißt es in einer Besprechung der gegenwärtigen Berliner Ausstellung „Painting Forever“: “Eine neue Entwicklung ist die Vorliebe junger Maler für das Informel.“ (ZEIT, 19.09.2013) Vielleicht darf man in diesem Zusammenhang an die Düsseldorfer Ausstellung im Museum Kunstpalast von 2010 „Le grand geste“ erinnern. Allerdings sollte man auch hier das Muster von Angebot und Nachfrage nicht überstrapazieren.

Mit der so selbstverständlich gewordenen Freiheit, für die Informellen der Nachkriegszeit eine wesentliche Errungenschaft und existentielles Thema, die hier in der Nutzung wie selbstverständlich den gelenkten Zufall einbezieht, und vor dem Hintergrund von Bewusstheit und Verantwortung geht es bei diesen Gemälden der Reihe „Frozen Gestures“, die das Sehen, die Empfindung und Reflexion herausfordern, insbesondere um Entfaltung und Behauptung der Subjektivität. Gemeint ist jener auf das Individuum gestützte subjektivische Humanismus, der nachdrücklich gegen jeglichen blinden Funktionalismus in der Verantwortung des Einzelnen besteht, natürlich auch des Künstlers wie des Betrachters, wovon kürzlich David Gelernter – damit in eine entsprechende Richtung wie der Philosoph John Searle weisend – in der FAZ (17.09. 2013)  ausführlicher  gesprochen hat.

Holthoffs „Frozen Gestures“ erstarren nicht, da bin ich sicher,  zu einer merkantilen „Signatur“, auch in diesem Punkt gibt es einen deutlichen Bezug zu dem auf Vielfalt angelegten Swan. Vielmehr lassen seine Werke uns teilhaben an sensitiver, mentaler Tiefe und Weite einer jungen, reichen Malerpersönlichkeit, auf deren künftige „Haupt- und Nebenwege“  wir gespannt sein dürfen.

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